Bin ich zu doof für OneNote?

Dieser Beitrag ist eine Mischung aus Reflexion, Sammlung offener Fragen und Hilferuf zu Microsoft OneNote. Denn seit Monaten und Jahren lese ich auf twitter und höre ich von übers Internet bekannten Kolleginnen und Kollegen, wie toll OneNote denn für Lehrkräfte sei, wie leicht damit die Organisation seiner Materialien ginge und wie praktisch die Organisation des Unterrichts damit liefe.

Nun habe ich schon mehrere Anläufe probiert, mich mit OneNote als Tool zur Planung und Organisation meines Unterrichts anzufreunden, bleibe aber immer extrem früh stecken. Dabei frage ich mich, wie sich meine eigene Wahrnehmung so deutlich von denen der begeisterten Kollegen unterscheiden kann – irgendwas scheine ich da doch dann zu übersehen?

1) So sieht meine bisherige Organisation aus

Seit Jahren organisiere ich alle meine Dateien in Ordnern. Mein Schul-Ordner sieht so aus:

  • Schuljahr 2017: Orga-Kram, spezifische Dokumente für das Schuljahr (z.B. Protokolle der FS für dieses Jahr)
  • Alte Schuljahre
  • Materialsammlung: Mit Unterordnern für alle drei Fächer, darin jeweils halbswegs geordnet gesammelte Artikel, Hefte, Arbeitsblätter, Videos, was auch immer
  • Englisch
    • Klasse 5
      • Unit 1
        • Stunde 1
        • Stunde 2
    • usw.
  • BwR
    • Klasse 7
      • Lehrplanthema 1
        • Stunde 1
        • Stunde 2

In den jeweiligen Stunden-Ordnern befinden sich alle zugehörigen Dateien verschiedener Dateiformate.

Alle Dateien zu einer Stunde

Mit einem Tool synchronisiert sich immer alles auf einen USB-Stick, damit ich in der Stunde einfach den Ordner und die benötigten Dateien öffnen kann. Wenn ich den Stick mal vergesse, liegt eh alles in OneDrive, damit ich in der Schule notfalls darauf Zugriff habe.

Also alles nichts außergewöhnliches und kein in irgendeiner Weise besonderes System, welches jedoch gut und reibungslos funktioniert.

2) Dateisystem vs. App

Meine ganzen Ordner und Dateien lagen eine Zeit lang auf Dropbox, dann auf meiner Synology und mittlerweile auf OneDrive. Das hat immer funktoniert, ich konnte problemlos zwischen dem Mac, Windows und allen möglichen Smartphone- und Tabletvarianten wechseln und ich hatte immer Zugriff auf die Dateien. Wenn ich alles in OneNote ablege, sperre ich alle meine Dateien in dieses System ein und bekomme sie nur manuell mit einem unvorstellbaren Arbeitsauwand wieder raus. Das kann passieren, man weiß ja nie, was sich Microsoft (wobei das Argument bei jeder Datenbank und jedem Unternehmen das gleiche ist) mal überlegt. Aus dem Dateisystem heraus lege ich Dateien wie Hefteinträge, Videos usw. auch ganz unproblematisch in eine Lernplattform wie mebis, ohne sie im Dateisystem aus OneNote heraus zwischenspeichern zu müssen.

Fazit: Mit dem Dateisystem kann ich überall „umziehen“ und alle Plattformen nutzen, bei OneNote bin ich eingesperrt und etwas liminiert, etwa bei unterschiedlichem Funktionsumfang zwischen Windows und der Mac-Variante.

3) Speicherplatz am iPad

Ich habe derzeit ein 32 GB iPad pro, das ich täglich in der Schule dabei habe. Der Schul-Ordner ist derzeit ca. 80 GB groß, wenn ich nur mal die drei Ordner mit fertigen Stunden nehme, 30 GB. Damit wäre das iPad schon überfordert, wenn ich alle OneNote Seiten für den Offline-Gebrauch synchronisieren lasse, denn Apps sind ja auch noch drauf. Nicht synchronisieren lassen ist keine Option, denn in der Schule haben wir auch in den nächsten 2-3 Jahren kein WLAN. Damit kann ich nicht jederzeit auf mein Material in der Unterrichtsstunde zugreifen. Den USB-Stick mit den Dateien in Ordnern tausche ich für 30 € aus, falls er zu klein wird.

Bisher hätte ich die Notizbücher immerhin mit OneNote 2016 als Offline Notizbuch speichern, synchronisieren und am PC in der Schule öffnen können. Diese Variante wird aber nicht mehr aktiv entwickelt und sich jetzt auf eine damit dahinsiechende und sterbende Software einzulassen, wäre Wahnsinn. Was mich wieder zurück zur Windows 10 App von OneNote bringt und der Speicherung in der Cloud – und zum Speicherproblem des iPads. Und nur deshalb ein größeres iPad zu kaufen, wäre völlig übertrieben und keine Option.

4) Man kann abgelegte Dateien nicht bearbeiten

Das ist mein größter Kritikpunkt, der mich tatsächlich ein wenig fassungslos macht. Ich habe mal eine Stunde probeweise in OneNote abgebildet für mich:

Die Unterrichtsstunde als OneNote Seite

Ich kann die auf der abgelegten Dokumente (Word-Dateien und PowerPoint-Datei) zwar aus dem Dokument heraus öffnen und sie drucken (again: kein WLAN die nächsten Jahre, sondern good old Arbeitsblätter), aber wenn ich an ihnen was verändern will, muss ich diese Variante wo anders abspeichern und diese neue Datei dann erst wieder manuell auf die Seite ziehen. Das ist in meinen Augen völliger Wahnsinn. Am PC kann ich mir das im Notfall vielleicht noch vorstellen, am iPad ist das Gefrickel aber erst recht nicht tragbar.

5) An einer Schule mit 1:1 Ausstattung und OneNote Class Notebooks ja, aber ansonsten?!

In folgendem Szenario kann ich mir OneNote super vorstellen: Ich führe für jedes Fach + Jahrgangsstufe ein Notizbuch zur Vorbereitung, in dem das Material und die fertig geplanten Unterrichtsstunden enthalten sind. Aus diesem füttere ich dann jeweils das aktuelle Class Notebook meiner diesjährigen Klasse. Die Klasse hat als Tablet-/Notebook-Klasse eine 1:1 Ausstattung und nutzt Class Notebooks. Die Arbeitsblätter und Materialien sind also nicht mehr auf Papier zu drucken, sondern können von Word aus direkt auf die OneNote-Seite zur Stunde „gedruckt“ und dort digital von den Schülern ausgefüllt werden. Oder die Seite enthält eben nur Informationen zu einem Projekt, einem WebQuest oder was auch immer, was die Lernenden in dieser Stunde bzw. zu diesem Lehrplanthema brauchen.

Übrigens: Das Ganze gilt sowohl für einen lehrerzentrierten Unterricht als auch für verschiedene Unterrichtsmethoden und Konzepten, die zu einem schüleraktivierenden, handlungsorientierten Unterricht führen. Hier geht es nur um die Organisation der Materialien, für mich selbst und ggf. für die Bereitstellung für Lernende.

6) Was übersehe ich also?

Dinge, die die automatische Erkennung von Mathe-Formeln, sind natürlich super praktisch. Insgesamt sind die oben beschriebenen Stolpersteine und Limitierungen für mich persönlich aber solche Hindernisse, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie jemand das Werkzeug für seine Unterrichtsorganisation – abgesehen vom gerade beschriebenen Szenario – produktiv einsetzt. Da aber so viele Kollegen OneNote scheinbar schon lange einsetzen, bleibt für mich nur eine Frage – auf die ich mir wirklich, ganz ehrlich, eine Antwort – am besten auf twitter an @herrmayr – wünsche: Was übersehe ich bei OneNote, was die Sache so großartig macht, oder ist die Ausstattung vor Ort bei den OneNote Begeisterten schon seit Jahren so weit, dass die alles mit Class Notebooks machen können, und nur meine Schule sowie die meisten Schulen, die ich persönlich kenne, sind x Jahre hinten?!